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Einweihung des Salomon-Sulzer-Platzes am 18. März 2025 in Wien

Am 18. März, Salomon Sulzers 221. Geburtstag, wurde ihn Wien der Salomon Sulzer Platz eingeweiht. Ein Kreisel in der Marc Aurel Straße erinnert nun an einen der bedeutendsten Kantoren des 19. Jahrhunderts – wenige Meter entfernt vom Wiener Stadttempel, den Salomon Sulzer 1826 schon mit seinem Gesang eröffnen durfte.

Sulzer, am 18. März 1804 in Hohenems geboren, wurde bereits im Alter von 13 Jahren zum Kantor ernannt. Doch er musste noch eine Lehrzeit auf Reisen absolvieren, bevor er 1820 in Hohenems sein Amt antreten konnte. Sein Bariton war bald legendär, und so wurde er schon 1825 nach Wien berufen und führte mit Rabbiner Isaak Noah Mannheimer eine moderate Version der Reform durch, die lange Zeit bestimmend blieb. Mehr als 50 Jahre diente er als Oberkantor und prägte als Vorsitzender des Kantorenverbands im Habsburger Reich die synagogale Musik seiner Zeit, indem er mit der Tradition der improvisierten Chasanut brach und verschriftlichte Musik und einen professionellen vierstimmigen Chor in der Synagoge einführte.

1890 starb er in Wien. Sein Traum auf dem Hohenemser Friedhof seinen Platz zu finden, erfüllte sich nicht, stattdessen bekam er ein monumentales Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Als der ehemalige Vorsitzende des „Allgemeinen deutschen Kantorenverbands“ Magnus Davidson, aus dem Londoner Exil 1951 forderte, die Hohenemser Synagoge zu einer Gedenktätte für Sulzer zu gestalten, hielten sich sowohl die Marktgemeinde, wie auch die Israelitische Kultusgmeinde in Innsbruck, bedeckt… Stattdessen wurde aus der Synagoge das Hohenemser Feuerwehrhaus.

Erst später begann man sich an den Hohenemser Komponisten, Sänger und Kantor zu erinnern. Die Schubertiade befestigte eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus. Ein Sträßchen wurde nach ihm benannt, schließlich die teilrestaurierte Synagoge als Salomon Sulzer Saal neu eröffnet und der Platz inmitten des Jüdischen Viertels 2016 nach ihm benannt.

In Wien bemühte sich Kantor Shmuel Barzilai 2007 darum, eine Gasse nahe des Stadttempels umzubenennen, aber seine Anstrengung versandete im bürokratischen Dschungel. Erst 2024 hatte eine neue Initiative von Kultusgemeinde und 1. Bezirk mehr Erfolg. Wir konnten schließlich auch die Verbindung zu den Nachkommen Sulzers herstellen, so dass Julie Reisler und ihr Sohn Ami tatsächlich den Weg von Washington nach Wien auf sich nahmen, um beim bescheidenen Festakt der IKG dabei zu sein.

Foto von links nach rechts:
Markus Figl (Bezirksvorsteher), Hanno Loewy (Jüdisches Museum Hohenems), Julie Reisler (Urururenkelin von Salomon Sulzer), Shmuel Barzilai (Oberkantor Wiens), Oskar Deutsch (Israelitische Kultusgemeinde Wien), Andreas Mailath-Pokorny (Wiener Freude des Jüdischen Museums Hohenems). Foto: Alba Losert

In Memoriam Luisa Jaffé

1964-2025Luisa Jaffé hat uns am 25. Februar 2025 verlassen. 2008 haben wir gemeinsam mit ihr und dem Komitee der Nachkommen das zweite Nachkommentreffen, die Hohenemser Reunion, organisiert. 2017 folgte das dritte. Sie trat damit in die Fußstapfen ihres Vaters Felix, der 1998 mit dem Jüdischen Museum die erste weltweite Reunion der Nachkommen Jüdischer Familien aus Hohenems auf den Weg gebracht hatte. Und sie tat dies mit ihrem ganz eigenen Temperament.

Luisa hat uns alle tief bewegt, ihre Ernsthaftigkeit, ihr stiller Humor und ihre Resilienz haben uns alle bei diesen Nachkommentreffen durch das Abenteuer einer kosmopolitischen Gemeinschaft von Weltbürgerinnen und Weltbürgern getragen.

1964 in Kenia geboren, wo ihr Vater als Geologe tätig war, wuchs sie in Genf auf und lebte schließlich in Belgien, von wo aus sie für eine internationale Akademikervereinigung Kongresse und Kommunikation organisierte. Also das tat, was sie auch uns, dem Jüdischen Museum und der Community der Nachkommen schenkte: das Talent auszuleben, Menschen zusammenzubringen, ohne sich selbst dabei im Vordergrund zu sehen. Resilienz hatte sie gebraucht, denn ihr Vater Felix war eine starke Persönlichkeit, der sein Hohenemser Familienerbe erfolgreich weitergab und Engagement einforderte, aber nicht unbedingt Widerspruch schätzte, wenn die Ansichten darüber, welche Prioritäten zu setzen waren, einmal auseinandergingen.

Im Jüdischen Museum lebt ihre Präsenz weiter, in einem Videointerview durch Arno Gisinger schildert sie, ihre vielen unterschiedlichen Pässe in der Hand, was es bedeutet in vielen Nationen und Kulturen zu Hause zu sein – und wie der kleine Ort an der Grenze zu so etwas wie einem Scharnier zwischen ihren verschiedenen Bindungen werden konnte, als Kind eines deutsch-österreichisch-jüdischen Vaters und einer christlich-amerikanischen Mutter. Und sie zitierte Eva Grabherr: „Hohenems ist zu einem Ort der Generationen geworden.“

„Ich mag diesen Satz, weil er alles umfasst. … Tausend Nachkommen kennen wir also bereits. Sie sind heute in der ganzen Welt verstreut und ich würde gerne eine Möglichkeit finden, dass sich diese Menschen weiterhin treffen, gemeinsam Dinge lernen und vielleicht sogar eine gemeinsame Reflexion beginnen. Oder vielleicht, aber das ist ein wenig egoistisch meinerseits, um meine persönlichen Fragen stellen zu können: Wer bin ich? Was mache ich? Jene Fragen also, die sich im Grunde jeder stellt. Um Hohenems zu einer Art Spiegel zu machen, der mir eines Tages vielleicht eine Antwort geben wird, auch wenn das utopisch ist. Das wünsche ich mir für die Zukunft.“

Am 25. Februar hat uns Luisas Bruder Philip geschrieben: „Heute, 25. Februar 2025, beschloss meine junge Schwester Luisa, kaum 60 Jahre alt, klar, in Frieden, mutig im Verlauf ihrer Krankheit, zu gehen.“

Wir sind unendlich traurig. Luisa war immer präsent in unserem persönlichen wie in unserem Museumsleben und wird es bleiben. Sie wird uns fehlen, wenn wir in wenigen Jahren hoffentlich wieder Menschen aus aller Welt empfangen dürfen, für die Hohenems ein Anker ihrer vielfältigen Identitäten und Lebensfragen geworden ist.

Wir werden dabei immer auch an Luisa denken.

Befreiung und Scham. Der 27. Januar zwischen Auschwitz und St. Gallen

Befreiung und Scham. Der 27. Januar zwischen Auschwitz und St. Gallen
Eine Gedenkrede von Hanno Loewy zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz 
Eine Veranstaltung des Historischen Vereins des Kanton St. Gallen
im Museum Prestegg, Altstätten, 27.01.2025

„Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen“ Mit diesen lapidaren Worten hat Primo Levi kommentiert, was in Auschwitz geschehen ist. Doch ob und wie sich Geschichte wiederholt, ist eine Frage, die angesichts von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus der Gegenwart quälend auf der Tagesordnung steht. Während ich hier über die Frage räsoniere, wie weit Auschwitz von St. Gallen entfernt ist, steht in Österreich ein hasserfüllter Rechtspopulist vor seiner Wahl als „Volkskanzler“ und brüstet sich damit, Fahndungslisten für politische Gegner aufzustellen 

2025 01 27 Rede von Hanno Loewy: Wann endet Auschwitz (pdf) 

 

In Gedenken an Martin Karplus

Martin Karplus (1930-2024)

Wenn Nobel-Preisträger Martin Karplus auf Reisen war, hatte er fast ständig eine seiner Kameras umgehängt. Stets ein aufmerksamer Beobachter und Zuhörer dokumentierte der US-amerikanische Wissenschaftler seine Reiseerlebnisse fotografisch. So auch bei seinem Besuch in Vorarlberg. Der gebürtige Wiener kam 2009 auf Einladung der Geschichtswerkstatt Silbertal ins Land, um bei einem Erzählabend an seine Großtante Eugenie Goldstern und die Wiener Familie Goldstern, aus der seine Mutter stammte, zu erinnern.

Martin Karplus, 1930-2024Was führte den Harvard-Professor ins Montafon? Eugenie Goldstern, die als Ethnologin das Alltagsleben in alpinen Siedlungen erforschte, Pionierarbeit in Feldforschung leistete, wurde im Vernichtungslager Sobibór ermordet. Einer der Mörder in diesem Lager war ein Silbertaler, Josef Vallaster. Dieser Mann wurde auf dem Kriegerdenkmal des Dorfes als Kriegsopfer gewürdigt. Ein Missstand, den die Gemeinde durch Abbruch des Denkmals, einem Gedenkstein für Eugenie Goldstern, Aufarbeitung durch die Geschichtswerkstatt und Schaffung eines Erinnerungsplatzes behob. Martin Karplus, der mit seinen Eltern und seinem Bruder als achtjähriger Bub aus Wien flüchten musste, unterstützte diese Arbeit der Silbertaler:innen ideell und finanziell. Er diskutierte im Dorf mit Jugendlichen, erzählte von seiner Fluchtgeschichte, würdigte die Arbeit der Geschichtswerkstatt. Er besuchte das Jüdische Museum, den Jüdischen Friedhof.

Damals ahnte noch niemand, dass der freundliche Herr mit der Kamera vier Jahre später den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte. Die Preisverleihung war dann auch Grund für die Republik Österreich, den bis dato ignorierten Wissenschaftler, der sich nie scheute den latenten Antisemitismus in seiner alten Heimat zu kritisieren, zu würdigen. Martin Karplus erhielt die Ehrenbürgerschaft von Wien und weitere – späte – Ehrungen.

Martin Karplus verstarb am 28. Dezember 2024 in seiner Heimat Cambridge/Massachusetts. Er wurde 94 Jahre alt.

 

Fotos: Heidi Bitschnau
Titelbild: Martin Karplus auf dem Jüdischen Friedhof Hohenems, 2009

Gute Freunde in aller Welt

Der neue Newsletter der American Friends of the Jewish Museum Hohenems ist soeben erschienen. Der regelmäßig zweimal im Jahr erscheinende Newsletter informiert auf Englisch über einzelne Familiengeschichten, Persönlichkeiten oder historische Begebenheiten – und über die Aktivitäten des Jüdischen Museums Hohenems: über Ausstellungen, Projekte und neue Publikationen.

Mehr Information über die American Friends 
Newsletter der American Friends Herbst 2024 (pdf) 

«Goldiga Törgga» für Jüdisches Museum Hohenems

Rheintaler Kulturpreis wurde am 8. November 2024 im Kinotheater Madlen in Herbrugg überreicht – wir sagen Danke!

Das Jüdische Museum Hohenems wurde am 8. November 2024 in Heerbrugg im Kinotheater Madlen mit dem Schweizer Kulturpreis «Goldiga Törgga» ausgezeichnet. Der mit 15.000 Franken dotierte Preis wird jährlich von der Rheintaler Kulturstiftung vergeben, und ging heuer erstmals an eine Institution: das Jüdische Museum Hohenems.

Milo Rau Festrede „Goldiga Törgga“ Preisverleihung (YouTube Video)

„Das Jüdische Museum Hohenems ist für uns natürlich als Nachbarinnen und Nachbarn eine Inspiration. Die Ausstellungsstätigkeit hat Auswirkungen über die Grenzen hinweg für Schulen, für die Museen. Das Jüdische Museum dokumentiert lebensnah die Geschichte der Diaspora, es beschäftigt sich mit jüdischer Gegenwart in Europa, aber auch mit übergeordneten Themen wie dem Zusammenleben und der Migration“, sagte Christa Köppel, Präsidentin der Rheintaler Kulturstiftung, in ihrer Rede.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Schweizer Regisseur, Theaterautor, Essayist und Wissenschaftler Milo Rau hob in seiner bewegenden Laudatio die grenzübergreifende Bedeutung des Museums hervor: „In einer solchen Zeit, die, um Hanno Loewy zu zitieren, Eindeutigkeit spüren will, ist das Museum Hohenems eine Metapher für ein Konzept der Mehrdeutigkeit, der Offenheit, des grenzenlosen, mehrdimensionalen Verstehens, einer Kunst und Erinnerungspolitik, wie sie kaum je praktiziert wird und ja, auch leider kaum jemals praktiziert wurde.“

Hier die ganze Laudatio von Milo Rau zum Nachlesen (pdf) 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tief bewegt nahm Hanno Loewy den „Goldiga Törgga“ entgegen. Und Christa Köppel hatte noch ein weiteres Überraschungsgeschenk für Hanno Loewy: den Spazierstock des Paul Grüninger, ein Geschenk von Ruth Haller, einer Verwandten von Grüninger. Christa Köppel, die nach sechzehn Jahren als Präsidentin der Rheintaler Kulturstiftung zurücktritt, wurde ebenfalls ein Kulturehrenpreis überreicht: der „Goldiga Törgga Special Edition“ Preis. Wir gratulieren!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Duo „Karl Kave & Durian“ sorgte für die originelle musikalische Untermalung des Abends und anschließend gab es bei einem Apéro riche ein geselliges Beisammensein mit vielen Gästen.

Wir danken für den „Goldiga Törgga“ und den schönen Abend!

Medienmitteilung Goldiga Törgga 2024 

Fotos: Ulrike Huber

«Goldiga Törgga»

Preisverleihung am Fr 8. November 2024, 18 Uhr, Kinotheater Madlen, Heerbrugg

Einladung zur Preisverleihung (pdf) 
Anmeldung bis 1.11.2024:
https://rheintalerkulturstiftung.ch/auszeichnungen/#anmeldung 

Programm
18:00 Uhr Eintreffen der Gäste

Begrüssung
Dr. Christa Köppel, Präsidentin Rheintaler Kulturstiftung
Verleihung «Goldiga Törgga» an Jüdisches Museum Hohenems

Laudatio für den Preisträger 2024
Milo Rau, Regisseur, Theaterautor, Essayist, Wissenschaftler

Preisübergabe
Dr. Christa Köppel

19:30 Uhr Apéro riche

Der Abend wird musikalisch umrahmt von der Band «Karl Kave & Durian».

Anmeldung bis 1.11.2024:
https://rheintalerkulturstiftung.ch/auszeichnungen/#anmeldung 

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

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Das Jüdische Museum Hohenems wird mit dem Schweizer Kulturpreis «Goldiga Törgga» ausgezeichnet. Der mit 15.000 Euro dotierte Preis wird jährlich von der Rheintaler Kulturstiftung vergeben, und geht heuer erstmals an eine Institution: das Jüdische Museum Hohenems.

„Der dreizehnte Rheintaler Kulturpreis «Goldiga Törgga» geht an das Jüdische Museum Hohenems für seine kluge und mutige Ausstellungs- und Vermittlungstätigkeit zu Themen, die unsere Gesellschaft kontrovers diskutiert: Flucht, Migration, Identität, Krieg, Nahostkonflikt und das interreligiöse Zusammenleben.

Davon profitiert das St.Galler Rheintal konstant. Die im JMH verhandelten Themen gehen alle an. Das Jüdische Museum Hohenems ist Inspiration und Bereicherung für die Rheintaler Museumslandschaft. Die kompetente Institution ist wichtiger und prägender Teil der Kulturregion Rheintal, bietet Orientierung und Hintergrundwissen zu brisanten Fragen und inspiriert mit seiner überzeugenden Vermittlungspraxis.“

Mehr dazu hier in der Medienmitteilung Goldiga Törgga 2024 

Demokratie in der Box

Vorarlberger Museen mischen sich ein.

Fünf Vorarlberger Museen und das Netzwerk museumdenken Vorarlberg haben sich anlässlich der bevorstehenden politischen Weichenstellung zu einer gemeinsamen Intervention entschlossen und zeigen, welche Spuren das Ringen um Demokratie in unseren Sammlungen hinterlassen hat.

Demokratie in der Box – Entsorgen oder recyceln?

Steht unsere Demokratie vor dem Aus oder kann sie noch gerettet werden? Droht sie zwischen Populismus und Identitätspolitik zerrieben zu werden? Gehen wir noch wählen, um wirklich mitzuentscheiden, oder nur noch, um unseren Unmut zu zeigen? Oder bleiben wir gleich ganz zu Hause und warten auf das Unvermeidliche?

Vorarlberger Museen mischen sich ein.

Wir sind keine stillen Beobachter, sondern aktive öffentliche Orte des Dialogs. Hier werden Ideen, Wahrnehmungen und Kontroversen verhandelt – und dabei geht es um mehr als nur Meinungen. Wir präsentieren Realitäten.

Wir durchforsten unsere Sammlungen und suchen nach Objekten, die das Wesen der Demokratie verkörpern: Vielfalt, Konsensfindung, Pluralismus, Respekt für Regeln, Pressefreiheit und Rechte von Minderheiten. Ebenso zeigen wir, was wir nur gemeinsam erreichen können: Zusammenleben, gegenseitige Anerkennung, Schutz unserer Umwelt, und das Interesse am Fremden.

In unseren Museen schaffen wir Raum für diese Themen – in Boxen, die darauf warten, gefüllt zu werden. Besuchen Sie uns und entdecken Sie, was unsere Demokratie zusammenhält.

Mehr Informationen auf der Website von museumdenken .

Dieses Projekt ist eine Initiative des Frauenmuseums Hittisau, der Inatura Dornbirn, des Jüdischen Museums Hohenems, des Stadtmuseums Dornbirn, des vorarlberg museums und von museumdenken vorarlberg.

In Gedenken an Herbert Pruner

Herbert Pruner (1939–2024)

Herbert Pruner gehörte zu den ganz besonderen Menschen in Vorarlberg, deren Bescheidenheit und menschliche Tiefe untrennbar mit den Katastrophenerfahrungen des 20. Jahrhundert verbunden war.

Von 2002 bis 2016 gehörte er dem Vorstand des Fördervereins des Jüdischen Museums in Hohenems an. Seine Beiträge zur Erinnerungskultur in Vorarlberg gingen freilich weit darüber hinaus.

Als er nach vierzehn Jahren Vereinsengagement im Vorstand des Fördervereins jüngeren Aktiven Platz machen wollte, sagte er uns: Er möchte jetzt etwas kürzer treten. Er möchte mehr Zeit mit seiner Frau Margit in der Natur verbringen und vor allem würden sie beide als Großeltern gebraucht. Er sagte das mit leuchtenden Augen. Und jedes Mal, wenn wir uns später bei Veranstaltungen im Museum trafen, erzählte er voll Freude über Besuche bei oder von seinen Enkelkindern. Es tat gut, in Zeiten von Rechtsruck, Hass und Krieg über Erfreuliches zu reden.

Aber er konnte es doch nicht lassen, sich weiter für eine produktive Erinnerung an den 2. Weltkrieg und den Holocaust, an NS-Täter und Opfer einzusetzen. Die Bregenzer Gedenkgruppe, mit der das Museum immer wieder zusammenarbeiten konnte, wurde von seinem Engagement bis heute mitgeprägt.

Herbert Pruner war ein leiser, überlegter Mensch. Jedes Gespräch mit ihm war bewegend. Scharfe Worte waren von ihm dann zu hören, wenn es um Rassismus, um Antisemitismus ging. Antisemitische Äußerungen von Politikern, Schmierereien auf dem Jüdischen Friedhof, da wurde auch der „ruhige und geduldige Mensch“, wie sich Herbert selbst charakterisierte, heftig. Für verharmlosende Rechtfertigungen wie „war ja nicht so gemeint“, „wusste nicht, dass das antisemitisch ist“ oder „bsoffene Gschicht“ hatte er kein Verständnis.

Herberts klare Haltung war der Erinnerung an seinen jüdischen Großvater Samuel Spindler geschuldet. Samuel Spindler war aus dem äußersten Osten der Monarchie, der heutigen Ukraine, als Handwerksbursche nach Vorarlberg gekommen. Hatte sich hier eine Existenz aufgebaut, hatte eine Familie gegründet, war Gewerkschafter und Stadtpolitiker, setzte sich ein für die, die im konservativ-katholischen Vorarlberg oft genug keine Stimme hatten. Er war bewusster Jude und Sozialdemokrat. Und er war – nach seinem Übertritt zum Protestantismus– ein ernsthafter Christ. Für den das Christentum vor allem ein soziales Gewissen und Engagement für alle bedeutete. Geholfen, sein jüdisches „Stigma“ loszuwerden, hat ihm das – zumal im katholischen Ländle – freilich nicht. Aber darum, sich anzupassen ging es Samuel Spindler auch nicht. Er wurde ausgegrenzt, von den Christlichsozialen als „Galizianer“ antisemitisch verhöhnt, angefeindet, zermürbt – und von den Nationalsozialisten 1942 schließlich in den Tod getrieben.

Seine berufliche Existenz hat auch Herbert Pruner jenen gewidmet, die in diesem reichen Land von Armut und Prekariat bedroht waren. Seine gesamte Berufslaufbahn verbrachte er im Arbeitsamt Bregenz. Daneben stand sein langjähriges Engagement für die Sozialdemokratie im Land, sein Wirken als Bregenzer Kulturstadtrat von 1975 bis 1981, seine vielfältigen Aktivitäten für eine bewusste Erinnerungskultur in der Landeshauptstadt, schließlich auch sein langjähriges Engagement in der Arbeitsgemeinschaft Christen und Sozialdemokratie (ACUS).

An das Schicksal und an die Werte seines Großvaters, aber auch an die Gräuel des Nationalsozialismus zu erinnern, „dazu hab ich mich verpflichtet gefühlt“, sagte Herbert Pruner – und damit war niemals irgendein persönlicher Ehrgeiz verbunden. Vorträge in Schulen, Führungen, Organisation von Veranstaltungen, die Mitarbeit an der Errichtung von Gedenkorten in Bregenz, schließlich auch seine tiefe Verbundenheit mit dem Jüdischen Museum Hohenems zeugten davon.

Herbert Pruner war ein selbstloser Netzwerker, auch für das Museum, wenn es darum ging Wege in wichtige Ministerien zu ebnen, uns mit den richtigen Persönlichkeiten zusammen zu bringen. Er machte das auf seine ruhige, vollkommen uneitle Art. Er war ein Mensch, der um die Wichtigkeit seines Anliegens für die Gesellschaft wusste und dieses Anliegen beharrlich verfolgte. Eigenwerbung brauchte er keine.

Am 13. August ist Herbert Pruner im Kreise seiner Lieben von uns gegangen.

Uns bleibt, im Sinne von Herbert Pruner, wachsam gesellschaftliche Entwicklungen zu beobachten und gegenzusteuern. „Man muss“, so betonte er immer wieder, „eine deutliche Haltung zeigen und aus der Vergangenheit Rückschlüsse für die Gegenwart ziehen.“

Möge dieser Gedanke von vielen gelebt werden.
Es möge ihm die Erde leicht sein.

Jutta Berger und Hanno Loewy

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