6. Oktober 1963 – 15. Februar 2024
Geboren und aufgewachsen in Bregenz in Vorarlberg, wurde Bernhard Purins Interesse an Jüdischer Geschichte früh durch seinen Geschichtslehrer Meinrad Pichler geweckt. Schon als Schüler durchstreifte er mit der Kamera das damals desolate ehemalige Jüdische Viertel der unweit gelegenen Stadt Hohenems. Nach seinem Studium der empirischen Kulturwissenschaften und der neuen Geschichte in Tübingen arbeitete er 1990 und 1991 als Projektleiter am Aufbau des Jüdischen Museums Hohenems und veröffentlichte sein erstes Buch, und zwar über die Geschichte der Hohenemser Nachbargemeinde Sulz: „Die Juden von Sulz. Eine jüdische Landgemeinde in Vorarlberg 1676-1744“.
Schon in der Gründungsphase des Hohenemser Museums erwies er sich als streitbarer Kopf, der dem oft naiven Umgang mit Objekten der materiellen jüdischen Überlieferung mit Kenntnis und kritischer Verve begegnete und auf genauer Objektrecherche bestand. Daneben legte er auch den Grundstein für die Entwicklung der genealogischen Recherchedatenbank des Museums. So ist das Museum bis heute von seinem kritischen Geist und seinem Sinn für‘s Netzwerken geprägt.
Zwischen 1992 und 1995 war Bernhard Purin Kurator am neu gegründeten Jüdischen Museum Wien. Hier initiierte er das Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, das er auch hauptverantwortlich herausgab. Mit seinem Beitrag „Jüdische Geschichte und Kultur in österreichischen Museen und Ausstellungen“ im ersten Band dieses Jahrbuchs legte er einen wesentlichen Grundstein für die Erweiterung einer Gesamt-Bibliographie zum Thema Jüdischer Historiographie, Kultur-, Zeitgeschichte und Kunst in Museen. Während eines Forschungsaufenthaltes an den Central Archives for the History of the Jewish People fand er das Inventarbuch des weltweit ersten Jüdischen Museums, wodurch die Wiener Vorkriegssammlung peu à peu rekonstruiert werden konnte. Mit der Ausstellung „Beschlagnahmt. Die Sammlung des Wiener Jüdischen Museums nach 1938“, nahm 1995 in Wien die Aufarbeitung von Geschichte und Schicksal des historischen Jüdischen Museums in Wien seinen Anfang.
1995 wurde er zum Leiter des Jüdischen Museums Franken in Fürth ernannt, wo er mit ironischen Zugängen zur Jüdischen Geschichte und Gegenwart einige produktive Kontroversen auslöste – Auseinandersetzungen, die er mit Unterstützung der Fachwelt und der Trägerschaft des Museums, aber auch mit dem Zuspruch des interessierten Publikums durchstehen konnte. 2002 folgte seine Berufung als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums München, das er 2007 eröffnen konnte – und dessen Leitung er bis zuletzt innehatte. Unter Bernhard Purins Leitung war München über all die Jahre ein Ort innovativer Ausstellungsinhalte und Gestaltung, sowie ein begehrter Projektpartner. Zu einer seiner kulturgeschichtlich originellsten Ausstellungen gehörte dabei sicherlich 2016/17 „Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten“. Prinzipiell gehörte es zu seinen Stärken, immer die thematisch-inhaltliche Anbindung an den Ort seines Wirkens im Auge zu behalten. In der Landeshauptstadt war er auch an der Entwicklung des 2017 eröffneten Erinnerungsorts für die Opfer des Olympia-Attentats führend beteiligt. 2022 koordinierte er mit seinem Team und in Zusammenarbeit mit einer Reihe von anderen Münchner und bayerischen Einrichtungen ein zwölfmonatiges Erinnerungsprojekt „Zwölf Monate – Zwölf Namen“, das jeden Monat einem der 1972 Ermordeten gedachte.
Bernhard Purin war weltweit als Experte für Judaica geschätzt und in ständigem Austausch mit Sammlerinnen und Sammlern. Seine Liebe zu jüdischen Ritualgegenständen kam nicht nur in solch großen objektbasierten Ausstellungen wie beispielsweise 2018 in „»Sieben Kisten mit jüdischem Material« Von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute“ zum Ausdruck sondern auch in vielen kleineren Präsentation wie 2009 „Schilder- und Metallkunst Heinrich Schwed. Judaica aus einer Münchner kunstgewerblichen Werkstätte“ oder 2014 „Samsons Leuchter – Ein Chanukka-Leuchter aus dem Besitz der Familie Wertheimer“ sowie in zahlreichen fundiert recherchierten Einzelpublikationen.
Auch die internationale Vernetzung der Jüdischen Museen untereinander hat er stark geprägt. Von 2001 bis 2007 und von 2013 bis 2018 gehörte er dem Vorstand der Association of European Jewish Museums (AEJM) an. Zugleich war er immer bereit sein Wissen zu teilen, sei es in den Fortbildungsprogrammen der AEJM, sei es in den wissenschaftlichen Beiräten verschiedener Museen, dem Editorial Board der Zeitschrift „Images. A Journal of Jewish Art“, dem Advisory Board des Central Registry of Information on Looted Cultural Property oder im persönlichen Gespräch.
Alle, die Bernhard Purin kennen, stehen fassungslos vor der Tatsache, dass er nicht mehr unter uns ist. Sein unbestechliches Urteil und sein Humor, seine Loyalität und Freundschaft, seine Integrität, seine tiefe Kenntnis und seine ungewöhnlichen und überraschenden Zugänge zur Welt der jüdischen Objektgeschichte werden uns fehlen.
Jutta Fleckenstein (Jüdisches Museum München), Felicitas Heimann-Jelinek und Michaela Feurstein-Prasser (xhibit.at), Hanno Loewy (Jüdisches Museum Hohenems), Mirjam Zadoff (NS-Dokumentationszentrum München)
Titelbild (Ausschnitt) Bernhard Purin, Foto: ©DanielSchvarcz