Über Jahrhunderte prägten zwei Straßen die jüngste Stadt im Vorarlberger Rheintal – die ‚Christengasse‘ und die ‚Judengasse‘.
1617 hatte der damalige Reichsgraf Kaspar von Hohenems durch einen Schutzbrief die rechtliche Grundlage für die Ansiedlung jüdischer Familien und den Aufbau von Institutionen einer jüdischen Gemeinde geschaffen, um den Marktflecken durch jüdische Händler wirtschaftlich zu beleben. Trotz Vertreibungen im 17. Jahrhundert entwickelte sich eine traditionsreiche Gemeinde mit einem Friedhof im Süden der Stadt, einer Synagoge, einer Schule, einem Versorgungsheim für die Alten und Armen sowie einem Ritualbad (Mikwe).
Die Gemeinde wuchs im 18. Jahrhundert kontinuierlich und erreichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren demografischen Höhepunkt. Die Hohenemser Juden pflegten enge Handels- und Familienbeziehungen nach St. Gallen und Südtirol, nach Triest und Frankfurt, nach Paris und Italien, nach Wien, Konstantinopel und in die USA. Kaufleute und zunehmend auch Industrielle wie die Familien Hirschfeld und Brettauer, Brunner oder Rosenthal, Schwarz und Burgauer gründeten Textilunternehmen und Banken, Eisenbahnen und Brauereien, Buchhandelsketten und Versicherungen. Längst war die Gemeinde zu einem Zentrum einer wachsenden Hohenemser Diaspora in den Alpenländern, in West- und Südeuropa und den USA geworden.
Die Staatsgrundgesetze in Österreich von 1867, die den Juden die lang ersehnte rechtliche Gleichstellung und freie Wahl des Wohnortes brachte, vor allem aber die errungene Ansiedlungsfreiheit in der Schweiz, hatten die Abwanderung eines großen Teils der Hohenemser Juden in größere Städte zur Folge.
Im Jahr 1935 schließlich zählte die Jüdische Gemeinde gerade noch 16 Mitglieder. Die wenigen in Hohenems verbliebenen Juden bekamen bald die nationalsozialistische Gewalt zu spüren. 1938 wurde von den Behörden das Vermögen der Kultusgemeinde beschlagnahmt, 1940 wurde die Gemeinde zwangsaufgelöst. Die letzten acht noch verbliebenen Juden wurden zunächst nach Wien und dann in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten deportiert.
Von den ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde kehrte niemand dauerhaft zurück. Nach dem Krieg lebten noch für wenige Jahre jüdische Überlebende aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern, die so genannten Displaced Persons, in Hohenems. Damit endete die über 300-jährige Geschichte der Hohenemser jüdischen Gemeinde, von der besonders im 19. Jahrhundert zahlreiche wirtschaftliche und geistige Impulse ausgegangen waren. So wirkten in Hohenems etwa Rabbiner wie Abraham Kohn, ein gemäßigter Vertreter aufklärerischer Reformen, oder Aron Tänzer, der als liberaler Rabbiner und Historiker weit über die Grenzen hinaus bekannt war. Der berühmte Kantor und Reformator des Synagogengesangs Salomon Sulzer stammte genauso aus Hohenems, wie der bedeutende Hormonforscher Eugen Steinach oder der bedeutende amerikanische Verleger und Buchhändler August Brentano. Stefan Zweig, Jean Amery oder August Brentano hatten ihre familiären Wurzeln in Hohenems.
In jüdischen Landgemeinden war die religiöse Tradition bis weit in das 19. Jahrhundert der wesentliche gemeinschaftsbildende Faktor. Neben dem Schabbat, dem wöchentlichen Ruhetag am Samstag, und den Gottesdiensten in der Synagoge waren es vor allem die Jahres- und Lebensfeste, die jüdische Religiosität auch für die christliche Mehrheit wahrnehmbar werden ließen. Doch Hohenems, mit den urbanen Zentren durch Heiratsmigration früh vernetzt, war schon seit den 1830er Jahren der Reform gegenüber aufgeschlossen und orientierte sich am liberalen Judentum.
Das jüdische Leben in Hohenems war vielschichtig: Hier lebten reiche Kaufleute und arme Hausierer, große Fabrikanten und kleine Handwerker. Ihr Zusammenleben mit der christliche Mehrheit war oft von freundschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Immer wieder kam es aber auch zu Ausgrenzungen und Diskriminierungen, die sich mit dem Aufkommen des Antisemitismus als Waffe des politischen Kampfes im ausgehenden 19. Jahrhundert verstärkten. Vor allem, als die Hohenemser Juden sich die volle Integration in die Ortsgemeinde erstritten, und zu einer Zeit, als ihre Zahl längst durch Abwanderung im Schwinden begriffen war.