Der Platz beim Brunnen
erzählt vom „Kulturkreis Hohenems“

Ein Quantum Wasser – Reise in die Vergangenheit

Es war einmal ein „Jungbrunnen“, der so vor sich hinplätscherte. Leider fühlte er sich irgendwie fremd an seinem Platz. Allmählich aber machten ihn die benachbarten Häuser neugierig. Wer wohnte einst in diesem Viertel? Seine Vorgänger an diesem Ort hatten sicherlich mehr Gesellschaft. Da war noch etwas los, als die Bewohner den Brunnen brauchten. Hier tauschten Frauen und Mägde beim Wäschewaschen Neuigkeiten aus. Kinder spielten um den Brunnen. Händler und Bauern brachten ihre Tiere täglich zur Tränke.

Und eines Tages wünschte er sich, mehr über all diese Leute zu erfahren, die früher in diesem Viertel lebten. Ab und zu erzählten Besucher Geschichten von ehemaligen jüdischen Bewohnern des Viertels, von Mägden und Hausgehilfen in den großbürgerlichen Häusern. Rabbiner, Ärzte und Lehrer spielten für das religiöse und gesellschaftliche Leben im Ort eine wichtige Rolle. Sie waren in Städten Europas geboren. In Hohenems angekommen, brachten sie teils konservative oder liberale Ideen in die Gemeindepolitik ein. Buchhändler, Architekten oder eine Sozialaktivistin wanderten nach Amerika aus. Ortsbekannt waren Bierbrauer und Gastwirte. Handelsleute pflegten ihre Kontakte zu Verwandten. Ebenso weiteten Bankiers, Fabrikanten und Hoflieferanten ihre Geschäftsbeziehungen in der Habsburger-Monarchie aus.

Permanent tauchten neue Namen auf. Diese wollte er sich merken! Er dachte nach und fand für sich die Lösung: Alle Namen, an die er sich erinnern konnte, schrieb er auf seinen weiten „Mantel“. Und hinter jedem Namen verbarg sich eine Lebensgeschichte. Seitdem fühlt er sich mehr und mehr eins mit seiner Umgebung. Nun kann auch er etwas erzählen von Frauen und Männern des Viertels, ihren Lebensschicksalen, ihrem Ankommen und Weggehen. Und erinnern an jene, die im Nationalsozialismus ermordet wurden.

Angefüllt mit Wasser und vielen Erinnerungen empfindet der „Jungbrunnen“ sich selbst wie ein „melting pot“, in dem sich Menschenschicksale aus Vergangenheit und Gegenwart mischen.

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Die Europaplätze in Hohenems
Ein Projekt mit dem Künstler Yves Mettler

Titelfoto: ©Land Vorarlberg/Alexandra Serra