Bericht Vereinsreise 2022
Frankfurt und die SchUM-Städte Mainz, Worms und Speyer

Frankfurt ist eine Reise wert

Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.

Diese Worte des Frankfurters Johann Wolfgang Goethe mag die OrganisatorInnen geleitet haben, als sie das Programm der traditionellen Vereinsreise des Fördervereins zusammenstellten, und so wurden vier Septembertage zu einem eindrucksvollen Erlebnis.

Bereits der Anreisetag hatte es in sich, lag doch SchUM, das „Jerusalem des Nordens“, auf dem Weg (SchUM ist ein Akronym aus den hebräischen Anfangsbuchstaben der Städte Speyer, Worms und Mainz). Die jüdischen Gemeinden dieser drei Städte erreichten im Mittelalter als Verbund eine bis heute anhaltende Weltgeltung in Sachen jüdische Gelehrsamkeit, die baulichen Überreste wurden 2021 dem UNESCO-Weltkulturerbe eingeschrieben. Spannend, aber heute auch schwer verständlich: die enge, aber zwiespältige Beziehung zwischen der jüdischen und christlichen Gemeinde. Da die mittelalterlichen Privilegien die Tätigkeit der Juden auf Handel und Bankgeschäfte beschränkten, waren es christliche Handwerker, welche die Synagogen bzw. Schulhäuser, Mikwen und sogar die jüdischen Grabsteine herstellten, was einen intensiven Informationsaustausch und gegenseitiges Verständnis voraussetzte. Im Kontrast dazu stehen die sich wiederholenden gewaltsamen Angriffe auf Jüdinnen und Juden, vom Kreuzzugspogrom 1096 über das Pestpogrom 1349 bis hin zu den Vertreibungen Ende des Mittelalters, die etwa in Speyer 1529 zum Untergang der jüdischen Gemeinde führte. Im Speyrer Dom (ebenfalls Weltkulturerbe) gaben Erläuterungen zum theologischen Programm Aufschluss über die Hintergründe des Verhältnisses.

Freitag, 9. September 2022

In Frankfurt bekam die Reisegesellschaft bei einem zweistündigen Stadtspaziergang einen ersten Eindruck von der bewegten Geschichte einer Stadt, die weit mehr als Finanzmetropole ist. Anschließend wurde unsere Gruppe von Museumsdirektor Hanno Loewy und seiner Frau Astrid begrüßt und durch die weiteren Tage begleitet. Als Frankfurter kennen sie nicht nur alle Facetten der Stadtgeschichte, sondern auch jene der Lokalitäten und kulinarischen Besonderheiten – Stichwort Grüne Soße.

Die Geschichte des jüdischen Lebens in Frankfurt ist – ähnlich wie in Wien – in zwei Museen dokumentiert: die Vormoderne im Museum Judengasse, Moderne und Gegenwart im Jüdischen Museum am Bertha-Pappenheim-Platz.

Unser erster Besuch galt dem Museum Judengasse bildete in der frühen Neuzeit das Ghetto, auf dem Plan aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ist es der Kreisbogen rechts der Mitte. Geplant war es ursprünglich für 15 Familien mit gut 100 Mitgliedern. Da sich die Stadt einer Erweiterung lange widersetzte, lebten noch kurz vor der Emanzipation im Gefolge der Französischen Revolution rund 3000 Menschen dort auf engstem Raum. Fast 200 Häuser und Hinterhäuser bildeten beidseits der Gasse je zwei doppelte Reihen. Das Ghetto galt damit als das am dichtesten besiedelte Gebiet Europas. Heinrich Heine schreibt in dem Romanfragment „Der Rabbi von Bacherach“, dass die Juden „dort immer ein Stockwerk über das andere bauten, sardellenartig zusammenrückten und dadurch an Leib und Seele verkrüppelten.“ Jedes Haus hatte einen charakteristischen Namen. Eines davon war das Haus Rothschild, dem die gleichnamige Bankiersfamilie entstammte, welche nach der Emanzipation Geschichte schrieb. Diese ist im Jüdischen Museum Bertha-Pappenheim-Platz, das einst das Rothschild-Palais war, ausführlich dokumentiert.

Das bedrückendste Erlebnis der Vereinsreise war der Besuch der Erinnerungsstätte an der ehemaligen Großmarkthalle auf dem Gelände der Europäischen Zentralbank. Da es sich um exterritoriales Gebiet handelt, ist der Besuch streng reglementiert und nur in einer vom Jüdischen Museum betreuten Gruppe möglich.  1941 mietete die Gestapo einen Teil des Kellers der Großmarkthalle, um dort bis 1945 über 10.000 jüdische Bewohner der Umgebung zu sammeln, auszuplündern und anschließend gewaltsam in Massentransporten über den nahen Gleisanschluss in aller Öffentlichkeit in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten zu zwingen.

Der Kunsthistoriker Jürgen Steinmetz, der die Reisgruppe zuvor fachkundig durch den jüdischen Friedhof Battonnstraße begleitet und selbst an der Gestaltung der Gedenkstätte mitgewirkt hatte, verstand es, durch knappe Kommentare und Vorlesen der in Stein eingemeißelten Zitate von Zeugen das grauenhafte Geschehen von damals zu vergegenwärtigen. Beispiel: „Mittlerweile war es Abend geworden. Noch immer standen die Menschen zusammengepfercht wie das Vieh. Aber Tiere werden besser behandelt. Diese armen Menschen, bei denen die SA morgens um sieben Uhr eingedrungen war, hatten nicht einmal zu essen und zu trinken. Sie standen so dicht gedrängt in ihren durch dicke Seile abgetrennten Gevierten, dass immer nur einige von ihnen auf den Koffern sitzen konnten.“ (Lili Hahn 1941).

Samstag, 10. September 2022

Würde man Museen wie Hotels mit Sternen klassifizieren, bekäme das Jüdischen Museum am Bertha-Pappenheim-Platz wohl fünf Sterne. Das frühere Palais Rothschild war das erste eigenständige Jüdische Museum Deutschlands. Es wurde 1988, drei Jahre vor unserem Museum in Hohenems, eröffnet. Der Umbau und Zubau des historischen Rothschild-Palais’ durch Staab Architekten wurde im Mai des Jahres mit dem höchstrangigen deutschen Architekturpreis „Große Nike“ ausgezeichnet.

Das Museum widmet den Altbau großteils der Geschichte der Frankfurter Familie Rothschild, die aus dem Ghetto zur internationalen Bankiersdynastie aufgestiegen war. Beeindruckend ist die Begegnung mit Anne Franks Familie, die aus Frankfurt stammte. Wie im ganzen (alten) Haus wurde hier architektonisches Erbe mit viel Liebe zum Detail mit neuer Architektur und Kommunikationstechnik verbunden. Das Haus ist wie die Ausstellungen, die zum Teil auch ertastet werden können, geschickt barrierefrei gestaltet. Wer nicht viel Zeit für den Museumsbesuch hat, kann Teile der Ausstellung als „Museum to go“ digital mitnehmen.

Während der Autor des Berichts am Samstagnachmittag seinem Lieblingsklub Eintracht Frankfurt einen Besuch abstattete, machte die Gruppe einen Spaziergang mit Hanno Loewy zum IG Farben Gebäude. Nach einigen Zwischenstopps bei historischen Gebäuden, der Synagoge, dem neuen Gemeindezentrum kam die Reisegesellschaft auf dem Campus der Goethe-Universität an, dessen Zentrum das geschichtsträchtige IG Farben Gebäude ist. Der imposante Bau wurde von Hans Poelzig im Stil der Neuen Sachlichkeit geplant und von 1928 bis 1931 errichtet. Hanno Loewy gab einen Abriss der Geschichte des Hauses: Zuerst Verwaltungsgebäude der I.G. Farbenindustrie AG, die maßgeblich von jüdischen Unternehmern geprägt war, teilweise mit familiären Verbindungen nach Hohenems. Ab 1933 wurde der Trust schrittweise arisiert, und die Chemieindustrie spielte im Nationalsozialismus eine führende Rolle. Die IG-Farben betrieben eine eigenes KZ, ein Nebenlager von Auschwitz und wurden zum berüchtigten Lieferanten von Zyklon B.

Nach dem Krieg wurde das Gebäude US-Hauptquartier für die amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland. Noch heute ist das Büro von General Eisenhower erhalten. Seit 1998 gehören Gebäude und Park zur Universität.

Im IG Farben Gebäude hat auch das Fritz Bauer Institut, das sich die Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust zur Aufgabe gemacht hat, seinen Sitz. Hanno Loewy, der Gründungsdirektor des Instituts war, gab der Reisegruppe einen kleinen Überblick über das große Wirken des Mannes, dessen Namen das Institut trägt: Fritz Bauer klagte als Generalstaatsanwalt von Hessen zahlreiche NS-Funktionäre an, half mit, Adolf Eichmann aufzuspüren und gilt als maßgeblicher Initiator des Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963 bis 1965).

Samstag, 11. September 2022

Den Abschluss des Frankfurt-Aufenthalts bildete der Besuch des Städel-Museums, eines der bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Es bietet nicht nur einen großartigen historischen Überblick, sondern ist seit 2012 (Eröffnung des unterirdischen Erweiterungsbaus mit natürlichem Licht von oben) auch zu einem einmaligen Zentrum der Präsentation von Gegenwartskunst geworden. Übrigens: Am Frankfurter Museumsufer befinden sich 37 weitere Museen. Das waren dann doch zu viele für eine kurze Vereinsreise.

Dank Hanno Loewys Insider-Informationen und Jutta Bergers stimmiger Planung und Organisation bleibt die Reise unvergesslich. Die Reisegruppe bedankte sich bei den beiden mit Standing Ovations und ging in Hohenems beglückt auseinander.

Gerold Amann