Jakob und Ida Kreutner, beide 1912 geboren, flohen mit dem neunzehn Monaten alten Sohn Robert im Winter 1938 von Wien in die Schweiz nach St. Gallen. Ihr Schicksal hatte einen ersten Höhepunkt im Novemberpogrom 1938. Jakob Kreutner erinnert sich, wie er von einer Nazibande in die Mitte genommen und zusammengeschlagen wurde. Verletzt und bewusstlos blieb er auf der Straße liegen, so dass die Nazis von ihm abließen. Daraufhin beschloss die Familie, Wien zu verlassen und in die Schweiz zu fliehen. Schon drei Wochen später traten sie die Flucht an und fuhren zunächst mit dem Zug nach Vorarlberg. An der Grenze versuchten sie mehrmals über den Rhein in die Schweiz zu kommen. Jakob Kreutner erinnert sich, dass es eiskalt war im Winter 38. Ida Kreutner erzählt von den Fluchtversuchen:
Das zweite Mal bin ich an einem anderen Ort zur Grenze her. Ich bin bis zur Hälfte gelaufen, da sind sie mit Scheinwerfern gekommen und haben gesagt: „Zurück!“ Dann bin ich wieder zurück. Und dann bin ich ein drittes Mal hinüber und da hat mir einer gesagt: „Das Kind nehme ich mit rüber, aber Sie müssen zurückgehen.“ Da hab ich gesagt: „Nein, das Kind nehme ich wieder mit.“ Und bin wieder zurück. (Ida Kreutner, 1997 in einem Interview mit Hansjürg Zumstein für den Dokumentarfilm: Die Fluchthelfer von Diepoldsau)
Erst beim vierten Mal glückte die Flucht. Mit einem Fluchthelfer überquerten sie schließlich den Rhein. Durch den kranken Sohn, der laut schrie, wurden sie von der Schweizer Grenzpolizei bemerkt, die sie mit dem Gewehr im Anschlag empfing.
Und da haben sie meine Frau gefragt (…): „Wo wollen Sie hin?“ Da hat meine Frau gesagt: „Wenn Sie mich zurückschicken, dann erschießen Sie uns lieber da.“ (Jakob Kreutner, 1997 ebd.)
Dank dem Grenzwächter Alfons Eigenmann, der sie passieren ließ und sie zu sich nach Hause aufnahm, glückte die Flucht endlich. Der engagiert Grenzpolizist versuchte auch, in einem anonymen öffentlichen Brief, die Schweizer Bevölkerung über die Dramen an der Grenze zu unterrichten. Laut dem Zeitzeugenbericht von Ida Kreutner hatte Eigenmanns Frau ihm den Auftrag gegeben, die Frau mit dem schreienden Kind aufzunehmen. Frau Eigenmann hätte sie und den schreienden Robert schon bei einem vorigen Fluchtversuch beobachten können. Ida und der Sohn Robert konnten schließlich für ein paar Tage bei den Eigenmanns wohnen und gelangten dann mit Mühen nach St. Gallen. Jakob Kreutner kam vorerst in ein Arbeitslager.
1955 erhielten die Kreutners die Schweizer Staatsbürgerschaft. Zuvor, im Jahr 1949, wurden sie in einem Brief der kantonalen Fremdenpolizei aufgefordert, nach Israel auszuwandern. Man hoffte mit der Staatsgründung Israels die jüdische Flüchtlinge loszuwerden. Die Familie blieb in der Schweiz.