Martin Karplus (1930-2024)
Wenn Nobel-Preisträger Martin Karplus auf Reisen war, hatte er fast ständig eine seiner Kameras umgehängt. Stets ein aufmerksamer Beobachter und Zuhörer dokumentierte der US-amerikanische Wissenschaftler seine Reiseerlebnisse fotografisch. So auch bei seinem Besuch in Vorarlberg. Der gebürtige Wiener kam 2009 auf Einladung der Geschichtswerkstatt Silbertal ins Land, um bei einem Erzählabend an seine Großtante Eugenie Goldstern und die Wiener Familie Goldstern, aus der seine Mutter stammte, zu erinnern.
Was führte den Harvard-Professor ins Montafon? Eugenie Goldstern, die als Ethnologin das Alltagsleben in alpinen Siedlungen erforschte, Pionierarbeit in Feldforschung leistete, wurde im Vernichtungslager Sobibór ermordet. Einer der Mörder in diesem Lager war ein Silbertaler, Josef Vallaster. Dieser Mann wurde auf dem Kriegerdenkmal des Dorfes als Kriegsopfer gewürdigt. Ein Missstand, den die Gemeinde durch Abbruch des Denkmals, einem Gedenkstein für Eugenie Goldstern, Aufarbeitung durch die Geschichtswerkstatt und Schaffung eines Erinnerungsplatzes behob. Martin Karplus, der mit seinen Eltern und seinem Bruder als achtjähriger Bub aus Wien flüchten musste, unterstützte diese Arbeit der Silbertaler:innen ideell und finanziell. Er diskutierte im Dorf mit Jugendlichen, erzählte von seiner Fluchtgeschichte, würdigte die Arbeit der Geschichtswerkstatt. Er besuchte das Jüdische Museum, den Jüdischen Friedhof.
Damals ahnte noch niemand, dass der freundliche Herr mit der Kamera vier Jahre später den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte. Die Preisverleihung war dann auch Grund für die Republik Österreich, den bis dato ignorierten Wissenschaftler, der sich nie scheute den latenten Antisemitismus in seiner alten Heimat zu kritisieren, zu würdigen. Martin Karplus erhielt die Ehrenbürgerschaft von Wien und weitere – späte – Ehrungen.
Martin Karplus verstarb am 28. Dezember 2024 in seiner Heimat Cambridge/Massachusetts. Er wurde 94 Jahre alt.
Fotos: Heidi Bitschnau
Titelbild: Martin Karplus auf dem Jüdischen Friedhof Hohenems, 2009