Georg Chaimowicz
„Lieber Papa!“ Kinderzeichnungen 1936-1946
„Lebensspur“. Werke 1957-1990
23. April bis 15. August 1993

Die Kinderzeichnungen als Zeitdokumente.
Die Ausstellung umfaßt in einem ersten umfangreicheren Teil 77 Kinderzeichnungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Gerade diese Zeichnungen des 1929 in Wien geborenen Georg Chaimowicz können als Beispiel für eine Art des Reagierens auf den mörderischen Vernichtungsapparat des Dritten Reichs gelesen werden, die von einer ohnmächtigen Passivität weit entfernt ist. In seinen ersten bildnerischen Versuchen findet er einen Weg, sich gegen die Erniedrigungen und Verbrechen zu wehren, die ihm und seiner Familie angetan werden.
Schon im Alter von 9 Jahren bekommt er die Repressionen des national-sozialistischen Regimes zu spüren, als etwa die Familie Chaimowicz von einem SA-Trupp gezwungen wird, fünf Schritte vor und zwei zurück durch die Prater Hauptallee zu marschieren, oder sein Vater mehrmals hintereinander verhaftet wird, bis er schließlich nach Prag fliehen kann, von wo aus er die Flucht seiner Familie nach Kolumbien einleitet. Diese einschneidenden Erlebnisse finden einen unmittelbaren Niederschlag in den Zeichnungen, die in Wien, auf der Flucht und in Bogota zwischen 1938 und 1945 entstehen. Sie zeichnen sich aus durch eine furchtlose Aggressivität und durch karikaturistische (nicht mehr nur kindliche) Vereinfachung der geschichtlichen Ereignisse, in denen Hitler als zentrale dämonische Figur die Hauptrolle spielt.
Die frühen Zeichnungen Chamowicz’ sind somit als unmittelbare Reaktionen auf die erlebte Geschichte von mehr als nur künstlerisch-biographischer Bedeutung. Auch wenn die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs von ihm in Kolumbien nur mittelbar aus den Medien mitverfolgt werden konnten, stellen sie – in ihrer mittelbaren Unmittelbarkeit – wertvolle Zeitdokumente dar, die Aufschluß geben über das Bild, das sich ein jüdisches Kind von der Welt während des Zweiten Weltkriegs gemacht hat, über die Ängste und über die Aggressionen, die in ihm geweckt wurden.

Werke 1958 bis 1990 als Stacheln und Verbände gegen das Vergessen
Der zweite Teil der Ausstellung umfaßt einen Überblick über das Schaffen des Künstlers bis in die Gegenwart. Durch das gesamte Werk Chaimowicz’ zieht sich als Themenschwerpunkt die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Neonazismus. Ausgehend von den Kinderzeichnungen führt eine kontinuierliche Entwicklung zu immer stärker reduzierten Arbeiten. Trotz ihrer zunehmenden Zeichenhaftigkeit verlieren sie jedoch nichts an Schärfe und Treffsicherheit, was etwa ein Ehrenbeleidigungsprozeß aus den Jahren 1963 bis 1965 gegen Chaimowicz beweist, für den eine seiner Zeichnungen den Anlaß gab.
Komplementär zu dieser angriffslustigen Komponente seiner Werke gewinnt bis in die 80er Jahre die Suche nach seiner eigenen (jüdischen) Identität und das Ringen um elementare Ausdrucksformen immer mehr an Bedeutung. Seine Zeichen reduzieren sich so radikal, daß nur die weiße Fläche des Papiers mit seinem Namenszug bestehen bleibt. Jüdische Symbole, wie etwa in der Serie „der siebenarmige Leuchter“, rücken immer weiter aus der Bildmitte.
In den Letzten Jahren ist Georg Chaimowicz verstärkt auf karikaturistische Elemente in seinem Schaffen zurückgekommen. Seine Serien („Paranoia“ oder Pferd hinter W. -1987) bzw. Bücher (Bloody America, 1992) vereinigen auf originelle (eigenständige) Weise Cartoons mit künstlerischen Zeichnungen.

Georg Chaimowicz führt persönlich durch die Ausstellung
Georg Chaimowicz wird neben zwei öffentlichen Führungen über mehrere Wochen für Führungen speziell von Schulklassen zur Verfügung stehen. In thematischer Anknüpfung an die vom Jüdischen Museum im Herbst letzten Jahres organisierten Besuche von Zeitzeugen an Vorarlberger Schulen wird er nicht nur als Künstler, sondern in seiner Rolle als Zeitzeuge, ausgehend von seinen Zeichnungen, über die Situation eines jüdischen Kindes erzählen, das die Auswirkungen des Nationalsozialismus selbst noch in verschiedenen Schulen in Bogota zu spüren bekam. Dadurch eröffnet die Ausstellung gleich zwei Zugangswege (einen optischen und einen akustischen) zu dem Themenbereich Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus.

Georg Chaimowicz
Geboren 1929 in Wien
Volks- und Mittelschule in Österreich und Kolumbien
1940-41 Escuela de Bellas Artes de la Universidad Nacional in Bogotá, Kolumbien
1948 Studium an der Bellas Artes, Bogotá, Kolumbien
1948-56 Akademie der bildenden Künste, Wien

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Hohenems

Projektleitung Hohenems:
Eva Grabherr
Realisierung:
Johannes Inama
Gestaltung:
Stecher id (Götzis)
Roland Stecher und Thomas Matt
Vermittlung:
Bruno Winkler