Asservate
Auschwitz, Buchenwald, Yad Vashem

Fotografien von Naomi Tereza Salmon
2. Februar bis 10. März 1996

Asservat, (lat.) das; ein in amtliche Verwahrung genommener, für eine Gerichtsverhandlung als Beweismittel wichtiger Gegenstand. (Duden)

Die wachsende zeitliche Distanz zu den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und die immer kleiner werdende Zahl von Menschen, die als direkt Betroffene davon berichten können, haben einen breiten Diskussionsprozeß ausgelöst: Etablierte Rituale des Gedenkens werden in Frage gestellt, neue Formen des Erinnerns finden speziell im Kunstbereich immer mehr Beachtung. Eine neue Generation von Künstlern und Wissenschaftlern sucht seit den siebziger Jahren nach einer angemessenen Sprache für das kaum Vorstellbare.
Die israelische Fotografin Naomi Tereza Salmon erhielt 1989 von der zentralen Gedenkstätte des Staates Israel Yad Vashem den Auftrag, Relikte, die im Zusammenhang mit dem Holocaust standen, zu fotografieren. Aus dieser ursprünglich rein dokumentarischen Arbeit entwickelte sich eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Objekten als Erinnerungsspuren/Reliquien/Beweisstücke von Menschen und Verbrechen. Mit der im Oktober 1995 in Frankfurt präsentierten Arbeit bezieht Naomi Tereza Salmon eine neue Position im künstlerischen Diskurs zum Thema Erinnerung an den Holocaust. Sie findet dabei eine Sprache, die eine Annäherung an die Schicksale einzelner Menschen erlaubt und gleichzeitig – in der nüchternen Aneinanderreihung der Fotografien – auf das kaum vorstellbare Ausmaß der Verbrechen hinweist.
Die fotografierten Objekte sind Fundstücke aus den Gedenkstätten Auschwitz, Buchenwald und Yad Vashem: Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie Kämme, Rasierpinsel, Zahnbürsten, Brillen, Blechgeschirr oder selbstgebastelte Erinnerungsstücke. Die Dinge verweisen auf Menschen, die in der Vernichtungsmaschinerie der Lager ihre Spuren hinterlassen haben, ob als Täter oder als Menschen, die ihres Menschseins beraubt wurden.
In schattenlos ausgeleuchteten Fotografien auf neutralem Hintergrund verlieren die Objekte jegliches Pathos. Sie werden zu sachlichen Beweisstücken im Prozeß des Erinnerns an nicht zu sühnende Verbrechen. Als einzelne Fotografien verweisen sie auf Individuen, als dicht gehängte Tableaus deuten sie auf das unvorstellbare Ausmaß des Grauens in den Vernichtungslagern hin.
Die unterschiedlichen Aspekte der Ausstellung sind als Entwicklungsprozeß in der dreieinhalbjährigen Arbeit der Künstlerin aus den Fotografien lesbar: Der Weg vom Tableau mit verdreckten, oft nicht identifizierbaren Beweisstücken in Plastiksäckchen über die Gruppen akribischer Dokumentationsfotografien diverser Alltagsgegenstände zu den Farbfotografien von Toilettenutensilien wie Rasierpinseln oder künstlichen Gebissen ist eine Annäherung an individuelle Geschichten, ohne das historische Raster der Verbrechen aus den Augen zu verlieren. Die stummen Dinge beginnen von Menschen zu sprechen – aus einer Distanz, aus der ihre Geschichten nur schwer begreifbar sind.

Katalog:
Naomi Tereza Salmon. Asservate. Exhibits. Auschwitz, Buchenwald, Yad Vashem. Deutsch/englisch/hebräisch, mit Beiträgen von N.T. Salmon und Aleida Assmann. Ostfildern: Cantz Verlag 1995.

Eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut, Frankfurt, im Jüdischen Museum Hohenems

Projektleitung:
Eva Grabherr (Hohenems)
Fotografie:
Naomi Tereza Salmon (Weimar)
Vermittlung:
Bruno Winkler und Helmut Schlatter (Hohenems)