Die Gründung der ersten Buchdruckerei Vorarlbergs durch Bartholomäus Schnell 1616 und die Ansiedlung von Juden seit 1617 durch Graf Kaspar von Hohenems stehen nicht nur zeitlich in einem engen Zusammenhang.
Mit der Druckerei holte der Graf eine wichtige Propaganda-, Legitimitäts- und Bildungsressource in sein kleines Reich, um selbständig Geschichte schreiben zu können. Mit dem Druck der „Emser Chronik“ verschaffte der Graf sich selbst und seiner Herrschaft eine würdige Vergangenheit und begründete zugleich seine politischen Ambitionen; mit der Judenansiedlung setzte er seine Politik der Entwicklung von Hohenems zur Stadt fort und sorgte für wirtschaftliche Möglichkeiten in Form von Handelsbeziehungen, Kapital und Steuereinnahmen zur „Hebung des Marktes“.
Der geplante Druck eines hebräischen Gebetbuches durch Bartholomäus Schnell markierte die Möglichkeit einer engen Verbindung zwischen der Hohenemser Offizin und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bestrebungen der Jüdischen Gemeinde.
In Aron Tänzer fand schließlich beides, die Geschichte des Buchdrucks wie vor allem der Jüdischen Gemeinde – zu einem Zeitpunkt als die gräfliche Herrschaft längst zu Ende und auch die Jüdische Gemeinde selbst im Niedergang begriffen war – seinen ersten ernsthaften Historiker und Archivar.
Die Ausstellungen zum 100. Geburtstag der Vorarlberger Landesbibliothek und von Aron Tänzers Buch „Die Geschichte der Juden in Hohenems“ präsentieren zugleich zwei eigenwillige Charaktere, die gegensätzlicher kaum denkbar erscheinen.
Bartholomäus Schnell. Raufbold, „freier Künstler“ und Pionier des Buchdrucks in Vorarlberg
Eine Ausstellung der Vorarlberger Landesbibliothek im Jüdischen Museum Hohenems
Die Buchdruckgeschichte Vorarlbergs beginnt mit dem aus Langenargen am Bodensee stammenden Bartholomäus Schnell d. Ä., der in der äbtisch st. gallischen Druckerei die freye khunst des buechtruckhens erlernte und 1616 in der Grafschaft Hohenems die erste Druckerei im heutigen Vorarlberg in Betrieb nahm. Gleich mit seinem ersten Buch, der „Emser Chronik“, gelang Schnell ein „Meisterwerk der Buchdruckerkunst“, das als „das schönste je in Vorarlberg gedruckte Buch“ bezeichnet wurde – nicht zuletzt von Rabbiner Aron Tänzer, der Schnell und der Wiege des Vorarlberger Buchdrucks im Jahre 1900 den ersten Aufsatz widmete.
Weitere 62 Drucke sind bekannt, was aber vermutlich nur einem kleinen Teil der Gesamtproduktion entspricht. Über 30 Jahre arbeitete Schnell in Hohenems nicht nur als Buchdrucker sondern auch als Buchbinder und Buchhändler.
Schnell war ein zwar treuer, aber unangenehmer Untertan des Grafen, der immer wieder zu Injurien und Gewalttätigkeiten neigte und oft mit dem Gesetz in Konflikt kam. Auch trank er wohl gerne einmal über den Durst. Wiederholt verbrachte Schnell Tage und Nächte im Arrest in Ems. Trotzdem fühlte sich Schnell mit dem Gräflichen Marckhtflecken gleichsam vermählt und auch der Graf wusste die Arbeit des Buchdruckers zu schätzen. Wohl zu Beginn des Jahres 1649, jedenfalls vor dem 19. April, verstarb Bartholomäus Schnell.
Mehrere Pächter, u. a. auch sein Sohn Bartholomäus Schnell d. J., führten die Druckerei weiter, bis sie 1680 für etliche Jahre und 1730 wohl endgültig stillgelegt wurde.
Mit dieser Ausstellung, die auf einer Initiative von Erik Weltsch beruht, und der begleitenden Publikation will die Vorarlberger Landesbibliothek im Rahmen ihres 100jährigen Jubiläums den durch zahlreiche Funde an Akten und Druckwerken bedeutend erweiterten Wissensstand über die Geschichte des frühen Buchdrucks in Vorarlberg einem breiteren Publikum vermitteln und durch einen Einblick in das Buchdruckerei- und Buchbindereiwesen der damaligen Zeit auch einem jüngeren Publikum veranschaulichen.
Aron Tänzer. Rabbiner, Forscher, Sammler und liebevoller Pedant
Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems
Aron Tänzers Buch Die Geschichte der Juden in Hohenems und im übrigen Vorarlberg feiert heuer seinen 100, Geburtstag. Ein Buch, auf dessen inhaltliches Wissen ein großer Teil der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Hohenems basiert und daher auch ein Anlass, insbesondere der Lebensgeschichte seines Schöpfers nachzuspüren. Die Ausstellung Aron Tänzer. Rabbiner, Forscher, Sammler und liebevoller Pedant will neugierig machen auf eine widersprüchliche Lebensgeschichte. Dabei reflektiert das Jüdische Museum gleichsam seine eigenen Grundlagen. Aron Tänzers Suche nach Ordnung – in seinem Leben und in der Geschichte – verdankt sich das meiste Wissen, das wir von der frühen jüdischen Geschichte Hohenems und Vorarlbergs besitzen. Ein Wissen, das freilich durchdrungen ist von so manchen Wünschen, Hoffnungen und falschen Gewissheiten.
Tänzers Geschichte ist eine Geschichte wachsender Vernunft, seine Welt ist eine Welt von beherrschten Trieben, seine Autoritäten sind legitime Herrschaft und das deutsch-jüdische Verhältnis ist ein Rückgrat des Fortschritts. So stellt sich die Vergangenheit für ihn als Vorgeschichte einer deutsch-jüdischen Symbiose dar, die sich noch zu seinen Lebzeiten als Illusion erwies – und einer universalen jüdischen Ethik, in der das jüdische Leben, auf das Tänzer zurückblickte, keineswegs aufging, auch sein eigenes nicht.
Aron Tänzer, geboren 1871 in Pressburg, studierte als Absolvent der berühmten Pressburger Jeschiwa in Berlin und Bern Philosophie, Germanistik und semitische Philologie. Gemeinsam mit seiner jungen Ehefrau Rosa zog Dr. Tänzer nach Hohenems, wo er 1896 die vakante Rabbinerstelle antrat. Das Schaffen von Ordnung, das Sammeln und die Weitergabe von Wissen prägten das Leben und Wirken Tänzers.
In Hohenems fanden diese Eigenschaften besonders ihren Ausdruck im bereits erwähnten Buch über die jüdische Gemeinde und in der Schaffung einer Archivordnung. Tänzers handschriftliches Archiv-Register, das im Jüdischen Museum Hohenems bewahrt und gezeigt wird, ist die Grundlage des heutigen Hohenemser Stadtarchivs. Veröffentlichungen mit historischen, religiösen und gesellschaftspolitischen Inhalten und vor allem auch Vorträge zu den unterschiedlichsten, vor allem literarischen Themen beschäftigten Tänzer permanent neben seiner Tätigkeit als Rabbiner.
Ein Schatz, der es uns heute ermöglicht, weitere Einblicke in die Lebenswelt des vielseitigen Rabbiners zu bekommen, sind die erhalten gebliebenen Tagebücher und Briefe, in denen er über seine Arbeit, aber auch in liebevoll-pedantischer Weise über seine Kinder, besonders deren moralisch-menschliche und berufliche Entwicklung berichtet.
Nach einem kurzen Intermezzo als Rabbiner in Meran, trat Aron Tänzer 1907 das Göppinger Rabbinat an. Die dreißig Jahre in Göppingen waren wiederum erfüllt von Tänzers historischer, literarischer und theologischer Forschungs- und Publikationstätigkeit. Sein Ruf als exzellenter Vortragender ging weit über Göppingen hinaus. Als überzeugter Patriot verließ Tänzer Familie und Gemeinde, um freiwillig als Armeerabbiner der deutschen Bugarmee während des Ersten Weltkriegs zu dienen.
Am immer salonfähiger werdenden Antisemitismus in Deutschland zerbrach sein Bild von einer deutschen „Kultur-Nation“. Sein Testament liest sich wie ein Dementi. Erschüttert notierte Tänzer kurz vor seinem Tod: „Bei meiner Beerdigung soll keinerlei deutscher Nachruf oder dgl. gehalten werden, sondern nur die üblichen hebräischen Gebete“. Am 26. Februar 1937 starb Dr. Aron Tänzer.
Weitere Ausstellungsstation:
Jüdisches Museum Göppingen-Jebenhausen: 29. Juni – 4. September 2005
Ausstellungskonzept Schnell:
Kerstin Ebenau und Norbert Schnetzer (Bregenz)
Ausstellungskonzept Tänzer:
Eva-Maria Hesche, Patrick Gleffe und Hanno Loewy (Hohenems)
Design:
stecher id (Götzis)
Roland Stecher und Thomas Matt
Vermittlung:
Helmut Schlatter (Hohenems)
Kerstin Ebenau (Bregenz)
Sekretariat:
Renate Kleiser